«Die gedankliche Auseinandersetzung darf nicht fehlen»
NewsKünstliche Intelligenz (KI) verändert unseren Alltag und stellt die Schulen vor neue Herausforderungen. Mit dem Projekt «GovAI ED BS» schafft das Erziehungsdepartement Basel-Stadt Grundlagen für den sicheren und datenschutzkonformen Einsatz von KI an Basler Schulen. Beim Besuch der Sekundarschule St. Alban zeigt sich, wie KI im Lernalltag von Klassenlehrer Samuel Stirnimann eingesetzt wird – und dass ihr Nutzen von reflektierter Anwendung und klarer Begleitung abhängt.

Künstliche Intelligenz (KI) ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Volksschule ist gefordert, was den Umgang mit KI innerhalb der Schule angeht. Aktuell läuft im Erziehungsdepartement das Projekt GovAI ED BS, das sich der Nutzung von KI-Systemen an den Basler Schulen widmet. Es hat zwei Hauptziele: Die Erstellung einer generischen Governance, also einer Richtlinie zur flexiblen und produktunabhängigen Anwendung von KI, und die Einführung eines datenschutzkonformen Produkts. Sven Rudin von DIG-IT aus dem Projektteam weiss: «Nach einer umfassenden Risikoanalyse und vor allem nach der Einführung von Microsoft 365 im Kanton Basel-Stadt als Grundlage bietet sich Microsoft Copilot als Lösung an. Die Vorteile von Copilot sind, dass die Daten im Unterschied zu anderen offenen KIs in der geschützten und kontrollierten Umgebung des M365-Tenants bleiben. Ausserdem ist es die erste generative KI, die ISO-zertifiziert ist.»
Einführung Copilot auf August
Die Einführung von Copilot ist auf August und damit auf das neue Schuljahr geplant. Sven Rudin aus dem Projektteam bestätigt: «Ab August können wir Copilot für alle Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler ab 13 Jahren freischalten. Natürlich möchten wir den Einsatz für alle Schülerinnen und Schüler ermöglichen, woran wir weiterarbeiten. Microsoft hat für Copilot neu die Altersfreigabe auf 13 Jahre angepasst. Diese Entscheidung fällen wir nicht allein.» Für das Projekt GovAI ED BS arbeitet DIG-IT mit bewährten Partnern wie Swisscom und Microsoft zusammen. Wichtig ist ausserdem der Austausch mit den Datenschutzverantwortlichen des Kantons. Für alle Beteiligten hat das Projekt GovAI ED BS Präzedenzcharakter. Dazu betont Sven Rudin: «Es ist kein anderes Projekt in der Schweiz bekannt, das die Einführung einer datenschutzkonformen KI für die Schule so fundiert angeht.»
Verantwortung im Klassenzimmer
Für die Auseinandersetzung und die Anwendungen im Klassenzimmer fanden dieses Frühjahr zwei KI-Tagungen statt. Hier lernten die Teilnehmenden Möglichkeiten für den Einsatz von KI im Unterricht und in der Vor- und Nachbereitung kennen. Sie setzten sich zudem damit auseinander, wie sich bisheriger Unterricht durch die Existenz von KI beispielsweise im Bereich Prüfen und Beurteilen verändert. Schliesslich ging es um die Frage, was dies für die künftige Schulentwicklung der einzelnen Schulen bedeutet. Als Fachexperte Medien und Informatik am PZ.BS und Klassenlehrer in der Sekundarschule St. Alban befasst sich Samuel Stirnimann schon lange ausführlich mit KI und ist überzeugt, «dass wir im Bildungsauftrag auch die Verantwortung mitdenken müssen, wie wir die Schülerinnen und Schüler mit digitalen Medien und KI aufs Leben vorbereiten. Wir tragen auch in Bezug auf die Chancengerechtigkeit eine Verantwortung. Wir wissen, dass alle Schülerinnen und Schüler täglich KI nutzen, aber nicht alle erhalten übers Elternhaus einen geschützten Zugang.»
Den Kanton Bern gibt es nicht
Bei einem Besuch von Samuel Stirnimanns Klasse 2A an der Sekundarschule St. Alban bestätigt ein Junge die Einschätzung des Fachexperten, dass KI von den Schülerinnen und Schülern täglich genutzt wird. Am effizientesten sei er damit bei Prüfungsvorbereitungen. Im privaten Gebrauch nutze er ChatGPT, wofür ihm die Eltern einen Zugang erstellt hätten, um sich Zusammenfassungen von Lerninhalten erstellen zu lassen. Er habe auch schon Lernkarten zusammenstellen lassen, was sehr hilfreich und zeitsparend sei. Schwieriger sei es aber mit KI bei Inhaltsabfragen. Als der 14-Jährige die KI nach allen Kantonen mit dem Anfangsbuchstaben «B» abgefragt hatte, wurde neben Basel-Stadt noch Basel-Landschaft aufgezählt – nicht dabei war der Kanton Bern. Dies sei nur eines der Beispiele, erzählt der Schüler, die ihm verdeutlicht haben, wie fehlerhaft die Inhalte von KI sein können. Die Verifizierung der Inhalte sei in jedem Fall notwendig. Er weiss, dass er dafür jederzeit auch auf seinen Klassenlehrer zugehen kann.
Inhalte reflektieren – Prompten lernen
Samuel Stirnimann nutzt KI oft im Unterricht und lehrt seinen Schülerinnen und Schülern den Umgang damit. Für das Grammatikdossier in Deutsch sollen diese mit der KI arbeiten und dafür im Bot möglichst präzise Fragen stellen: «Ich bin mir beim Nominativ nicht sicher, kannst du mir den erneut erklären? Kannst du mir eine Übung dazu erstellen?» Samuel Stirnimann hat den Anspruch an die Schülerinnen und Schüler, dass diese das Ergebnis beurteilen, und gegebenenfalls anpassen. «Ich möchte, dass die Ergebnisse reflektiert werden: Sind diese Übungen, die mir KI vorschlägt, zu einfach? Entsprechen sie meinem Wissensstand? Kann ich sie so übernehmen oder ist allenfalls noch etwas unklar?» Es geht dem Klassenlehrer um diese gedankliche Auseinandersetzung, die bei den künstlich generierten Inhalten nicht fehlen darf. «Sind die Übungen zum Nominativ von KI zu einfach, hat die Schülerin oder der Schüler vielleicht vergessen, im Prompt anzugeben, für welche Alters- und Schwierigkeitsstufe diese erstellt werden sollen.» Das Ergebnis wird zusammen mit dem Prozess im Grammatikdossier abgelegt.
Regeln
Bevor die Schülerinnen und Schüler der 2A mit der Aufgabe starten, geht Samuel Stirnimann zusammen mit der Klasse die Regeln nochmals durch: «Keine persönlichen Daten freigeben im Netz. Immer als Alias nutzen. Je genauer die Prompts, desto besser das Ergebnis. Die Ergebnisse sind nicht alle richtig. Nutzt die eigene Einschätzung. Es gibt mit KI keine Abkürzungen. Lernen muss jeder selber. Die Lehrperson erhält immer Einblick in den Prozess.» Dank seiner Erfahrung fällt es dem Klassenlehrer leicht, einen KI-generierten Text zu erkennen. «Mich interessiert, warum die Schülerinnen und Schüler Texte generieren lassen.» Er sucht das Gespräch und erhält fast immer offene Antworten: Einmal sei es der Reiz des Mogelns, ein anderes Mal vielleicht der Leistungsdruck der Eltern und ein drittes Mal doch einfach nur Zeitmangel. Samuel Stirnimann geht es darum, dass die Prozesse geteilt und reflektiert werden.
Transfer an Standorte
«Ich arbeite mit Überzeugung daran, KI in den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler fest einzuplanen», so der Klassenlehrer. Als Fachexperte Medien und Informatik am PZ.BS kennt er keine Berührungsängste mit KI. Er hofft, dass die Auseinandersetzung beispielsweise bei den KI-Tagungen oder auch einem Einblick in seinen Unterricht andere Lehrpersonen dazu ermutigt, mehr mit KI auszuprobieren und diese öfter in den Unterricht einzubauen. Für die Sekundarstufe hat es Götz Arlt, Stufenleiter, an seinen Abschlussworten der Tagung im Mai deutlich formuliert: «Mir ist es wichtig, dass ihr [Lehrpersonen] ab heute bei der Weiterentwicklung eurer Schulen aktiv die Chancen von KI genauso wie die damit verbundenen Herausforderungen mitdenkt. KI kann nicht als ein neues, isoliertes Projekt mit Anfang und Ende bearbeitet werden, sondern muss ein fester Bestandteil eurer aktuellen und künftigen Schulentwicklungsprozesse werden.» Die Diskussion über die Nutzung von KI soll über die ICT-Verantwortlichen und Schulleitenden an die Standorte übertragen werden. Mit der Freischaltung von Microsoft Copilot ist die Grundlage für die datenschutzkonforme Nutzung ab August geschaffen.
Text: Maren Stotz, Foto: Grischa Schwank