Von Jörg zu Herrn Wilczek
NewsBergmann, Reiseleiter, Koordinator bei Warner Brothers: Die berufliche Biografie von Jörg Wilczek ist reich an Erfahrungen. Nach 35 Jahren als Lehrer und Schulleiter an Basler Schulen wird er diesen Sommer pensioniert.

«Das Wichtigste am Lehrberuf? Liebt das, was ihr macht! Um eine gute Lehrerin oder ein guter Lehrer zu sein, muss man mit dem Herzen dabei sein, denn Schule ist mehr als Unterricht. Klar ist der Unterricht wichtig, aber der Unterricht ist nicht alles. Viel wichtiger sind die Beziehungsgeflechte. Wie schaffe ich es, die Jugendlichen abzuholen? Wie komme ich mit denen klar? Man sollte bereit sein, genau hinzuhören. Ihre Probleme oder ihre Sorgen aufzunehmen. Und man sollte mit Veränderungen gut klarkommen. Die Erde dreht sich und die Gesellschaft verändert sich. In den 70er-Jahren habe ich in Deutschland den Kriegsdienst verweigert. Ich musste mich da vor einem Militärgericht verantworten und mein Gewissen offenbaren. In der heutigen Situation hat sich meine Meinung auch wieder etwas geändert. Was macht man gegen solche skrupellosen Typen wie Putin? Da denke ich jetzt auch anders als vor 50 Jahren.
Ich bin in einer Bergmannsfamilie in Hückelhoven in der Nähe von Mönchengladbach grossgeworden. In der Studienzeit habe ich in den Semesterferien unter Tage im Steinkohlenbergbau gearbeitet. Wir haben den Streb gebaut. Das ist der Holzausbau, um das Gelände abzusichern bevor die Maschinen eingebaut werden. Man musste sich halt irgendwie durcharbeiten. Ich habe in Aachen auf Lehramt studiert und musste meine Wohnung und mein Leben finanzieren. 1997 hat man die Zeche Sophia Jacoba dann stillgelegt.
Als ich mit dem ersten Staatsexamen fertig war, gab es in Deutschland viel zu viele Lehrer und keine Stellen, genau umgekehrt wie heute. Ich war also die Lehrerschwemme. Zwischen dem ersten und dem zweiten Staatsexamen gab es ein Zwischenjahr. Ich habe da bei Warner Brothers gearbeitet, durfte als Koordinator die Endverarbeitung der Schallplatten koordinieren. Unsere Highlights waren Madonna, Prince, Tina Turner. Als ich dann im Rahmen meiner Ausbildung eine Referendarstelle als Lehrer bekam, habe ich Knall auf Fall gekündigt. Sie waren geschockt.
Nach der Ausbildung gab es nichts. Ich hatte eine eigene Judo-Schule und habe als Fitnesstrainer gearbeitet. Dann bin ich nach Griechenland als Reiseleiter bei einem deutschen Unternehmen. Nach einer Saison habe ich mich gefragt, will ich das mein ganzes Leben lang machen? Irgendwelche Touristen durch die Gegend führen?
Ich habe mir überlegt, wo sonst noch Deutsch gesprochen wird. Und habe mich spontan hier in Basel an der Sekundarschule in der Kaserne beworben. Das war eine Fremdsprachenklasse (FSK), heute heisst das Deutsch als Zweitsprache. Das war meine erste Klasse, vier Jahre lang. Dann kam die Schulreform und danach habe ich an der Sandgrube 18 Jahre lang als Lehrer und zeitweise auch als Schulhausleiter gearbeitet. So nannte man das damals noch. Zu Beginn hatte man als Schulhausleiter noch gar keine Entlastung, es hiess einfach: «Mach mal!» Mit der zweiten Schulreform wurde das dann professionalisiert. Seit 13 Jahren bin ich Schulleiter am Wasgenring.
Was wir in der Schweiz erreicht haben, dieses freiheitliche demokratische Denken, sich äussern zu dürfen, finde ich extrem wichtig. Freiheit ist ein wichtiges Gut. Ich denke, was ich will, und sag es auch. Haltungsfragen sind wichtig. Wir müssen mehr miteinander in die Diskussion gehen. Der Begriff Integration geht für mich viel zu wenig weit. Wir reden von der integrativen Schule, aber da kann man immer noch schön selektionieren. Für mich sollte der Begriff ‹Inklusion› heissen. Eine inklusive Schule ist noch revolutionärer. Wir sind auf einem guten Weg, aber wir sind noch nicht da, wo wir eigentlich hinsollten. Unsere Gesellschaft ist noch nicht inklusiv. Es müssen alle mitgenommen werden, wirklich alle. Dies ist meine Haltung.»
Aufgezeichnet von Claudia Ribeiro Xavier und Charlotte Staehelin, Foto: Claudia Ribeiro Xavier