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«Der Rhein war schon lange nicht mehr so sauber wie heute»

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Während 27 Jahren leitete Jan Mazacek das Umweltlabor des Kantons Basel-Stadt und die schweizerisch-deutsche Rheinüberwachungsstation in Weil am Rhein. Anlässlich seiner Pensionierung Ende August 2025 würdigt der promovierte Chemiker die Fortschritte rund um die Wasserqualität des Rheins.

Mann testet draussen Wasser, sitzt drinnen am Schreibtisch.
Seit 1998 war Jan Mazacek als Leiter des Umweltlabors und der Rheinüberwachungsstation für die Wasserqualität in Basel mitverantwortlich.
© bs.ch/aue

Herr Mazacek, als Leiter des Umweltlabors hatten Sie Personalverantwortung für 18 Mitarbeitende, aber auch Lehrlinge, Praktikanten und Studierende, die bei Ihnen ihre Bachelor- und Masterarbeiten machen. Was hat Ihnen an Ihrer Tätigkeit jenseits der Leitungsaufgaben besonders gut gefallen?

Jan Mazacek: Ich fand es immer wahnsinnig spannend, wenn wir etwas Aussergewöhnliches im Rhein gefunden haben. Hatten wir einen Verdacht, haben wir Flaschen ins Auto gepackt und sind flussaufwärts losgefahren, um die Quellen der Verunreinigungen zu finden, manchmal bis nach Koblenz. Gewässerschutz ist Detektivarbeit!

Im Jahr 2006 hatten wir einen Fall, da fanden wir im Rheinwasser Hexachlorethan, einen längst verbotenen Stoff, der zum Beispiel in Rauch- und Nebelgranaten verwendet wurde. Sehr schnell fanden wir in Rheinfelden den Rheinabschnitt, ab dem der Rhein verschmutzt war. Wir konnten jedoch nicht einordnen, woher dieser Stoff plötzlich kam. Bis es klick machte: Es wurde dort ein Kraftwerk abgebrochen und neu gebaut. Dabei wühlten Bagger alte Sedimente auf. Diese Sedimente enthielten Hexachlorethan, das aus einer früheren Aluminiumgiesserei in Badisch Rheinfelden stammte.

Das Umweltlabor hat ein breites Aufgabengebiet. Im Zentrum steht sauberes Rheinwasser. Wie stellen Sie dieses sicher?

Das zentrale Instrument ist die Rheinüberwachungsstation (RÜS) in Weil am Rhein. Das Umweltlabor von Basel-Stadt betreibt die RÜS im Auftrag des Landes Baden-Württemberg und des Bundesamts für Umwelt (BAFU). Die RÜS ist ein Kind des Grossbrands von Schweizerhalle im Jahr 1986. Davor hatte man den Rhein nur mit 14-tägigen Sammelproben untersucht und erfasste praktisch nur Verunreinigungen durch Nährstoffe. Seit die RÜS im März 1993 ihren Betrieb aufgenommen hat, wird der Rhein ohne Unterbruch beprobt, die Proben werden täglich untersucht und wir erfassen eine viel grössere Zahl von Fremdstoffen. Bei Überschreiten von Meldeschwellen informieren Labormitarbeiter Trinkwasserwerke und suchen den Verursacher.

Eine Herausforderung ist die schier unendliche Vielzahl von Chemikalien. In Europa werden 11'000 verschiedene Stoffe in wirklich grossen Mengen eingesetzt. Wir können nicht alle diese Stoffe im Voraus im Messsystem erfassen. Darum suchen wir gezielt auch nach unbekannten Verbindungen, deren Signal in der Probe plötzlich stark ansteigt, identifizieren deren Struktur und suchen den Verursacher. Es darf nicht sein, dass im Tagesverlauf jemand 100 kg oder mehr einer Substanz unbemerkt in den Rhein einleitet. Ziel ist, den Verursacher der Einleitung zu finden, um eine zukünftige Wiederholung der nachgewiesenen Verschmutzung zu verhindern.

Es gibt mehrere Überwachungsstationen entlang des Rheins. Jene in Weil am Rhein gilt als besonders fortschrittlich. Warum?

Die Überwachung des Rheins wird immer umfangreicher. Als ich 1998 bei der RÜS angefangen habe, beschrieben wir die Wasserqualität mit 60'000 Messwerten pro Jahr. Heute sind es 270'000 Messwerte von insgesamt 680 Stoffen. Zudem werden die Analysemethoden immer besser: So werden seit 2008 auch nichtflüchtige, polare oder gar elektrisch geladene organische Verbindungen mittels Flüssigkeitschromatographie gekoppelt mit hochauflösender Massenspektrometrie (LC-HRMS) erfasst. Viele Pflanzenschutzmittel, Pharmawirkstoffe, Haushaltschemikalien und Industrieabwässer können so besser überwacht werden. 

Eine weltweit einmalige Vorreiterrolle spielten wir bei der Suche nach im Messprogramm nicht aufgeführten, d.h. für uns unbekannten Verunreinigungen. Die verwendete Methodik (LC-HRMS) gekoppelt mit einer aufwändigen Datenanalyse wurde am eidgenössischen Wasserforschungsinstitut EAWAG entwickelt und im Jahr 2013 bei uns eingeführt. Sie wurde später von anderen Überwachungsstationen am Rhein und auch von Überwachungsstationen in Südkorea übernommen. Es war wie eine neue Brille, mit der wir Stoffe sahen, die wir vorher nicht sehen konnten.

Damit haben Sie immer präzisere Instrumente, um Umweltsündern auf die Spur zu kommen.

Ende der 1990er-Jahre fühlten wir uns tatsächlich manchmal wie Polizisten. Heute sind die Firmen sehr kooperativ. Man sollte sich von der Vorstellung verabschieden, dass Firmen ihr Dreckwasser mutwillig in den Rhein entsorgen. Das mag es früher gegeben haben; während meiner 27 Jahre beim Umweltlabor habe ich es nie erlebt. Die Realität heute ist vielmehr, dass zum Beispiel zwei Chemikalien aus verschiedenen Produktionsstätten auf dieselbe Kläranlage gelangen und dort zu einem gefährlichen Stoff reagieren. Oder dass ein Stoff, der in einem Rohstoff enthalten war, in der Kläranlage nicht abgebaut wird. Solche in der Regel nicht absichtlichen Verschmutzungen können wir aufspüren und unterbinden.

Die grössten Frachten an Fremdstoffen, die wir mit unseren Analysemethoden aufspüren, kommen übrigens nicht aus Landwirtschaft oder Industrie, sondern von den achteinhalb Millionen Einwohnern im Einzugsgebiet des Rheins. Wir haben im Rhein pro Jahr rund 780 Tonnen des Entkalkungsmittels Amidosulfonsäure, 20 Tonnen des Antidiabetes-Medikaments Metformin mit seinem Abbauprodukt Guanylharnstoff und 2,2 Tonnen Koffein. Allerdings sagt die Menge eines Stoffs noch nichts aus über dessen Gefährlichkeit. Von Pflanzenschutzmitteln zum Beispiel findet man geringe Mengen, aber die sind im Gegensatz zu Medikamenten gemacht, um Leben zu töten und haben somit bedeutend tiefere Grenzwerte. Wir finden immer wieder Problemstoffe. Und doch gilt unter dem Strich: Der Rhein war schon lange nicht mehr so sauber wie heute.

Der Rhein ist also wieder bereit für den Lachs?

Von der Wasserqualität her in jedem Fall! Im Raum Basel werden jährlich 30'000 Junglachse ausgesetzt, von denen einige zurückkehren. Das grösste Hindernis sind aber leider immer noch die drei letzten, nur schwer passierbaren Wasserkraftwerke zwischen Strassburg und Basel. Auch die steigenden Wassertemperaturen bereiten dem Lachs Mühe.

Das Umweltlabor beprobt und analysiert nicht nur den Rhein, sondern auch andere Oberflächengewässer, das Grundwasser, Böden und die Luft. Was haben Sie hier in den letzten Jahren erreicht?

Ich kann exemplarisch zwei, drei Beispiele geben: So wurde im Herbst 2013 eine Altlastensanierung im französischen Hüningen unterbrochen, nachdem wir in Basel bedeutende Staubbelastungen mit Lindan und seinen Verunreinigungen gemessen hatten. Der Stoff war auf diesem Areal bis 1974 von einer Chemiefirma hergestellt worden. Aufgrund unserer Intervention wurde das Sanierungskonzept überarbeitet. Mit einem Zeltdach wurde sichergestellt, dass dieses Gift nicht durch den Wind in andere Gegenden verfrachtet wurde.

Ein anderes Beispiel betrifft die Perfluorierten Alkylverbindungen (kurz PFAS) – eine Gruppe schwer abbaubarer Stoffe, die als potenziell krebserregend eingestuft werden. Diese Chemikalien wurden unter anderem in Feuerlöschschäumen gebraucht. Nachdem man die Gesundheitsgefahren erkannt hatte, startete Basel-Stadt ein grosses Untersuchungsprogramm. Wir fanden mehrere Grundwasser-Messstellen mit erhöhter und eine mit einer ganz hohen Konzentration. Ausgehend von diesem Befund haben wir die Quelle der letzteren gesucht und auch gefunden – auf einem Eisenbahnareal, wo einst Löschschaum beim Brand eines Tankwagens zum Einsatz gekommen war. Dieses Gebiet ist aktuell Gegenstand eines Sanierungsprojekts. 

Oder nehmen wir ein Beispiel aus dem Rhein. Eine vorerst völlig unbekannte Verbindung mit der exotischen Summenformel C7H2N4 konnte als Tetracarbonitrilpropen identifiziert werden. Trotz der ermittelten Jahresfracht im Rhein von 14 Tonnen war diese Verbindung keiner Firma als Abfall bekannt. Die Verbindung war das ganze Jahr bis auf 5 Wochen im Herbst im Rhein nachweisbar. Wir konnten die Quelle ermitteln, indem wir die Firma fanden, die im Herbst ihren Betrieb während der besagten fünf Wochen eingestellt hatte. Es war tatsächlich so, dass dieser Stoff der Firma nicht bekannt sein konnte, da er in der Abwasserbehandlung gebildet wurde. Mit Massnahmen in der Abwasserbehandlung konnte dieses Problem gelöst werden. 

Sie waren Laborleiter bei Sandoz, bevor Sie zum Stadtkanton kamen. Wie haben Sie den Seitenwechsel von der Privatwirtschaft in die Verwaltung erlebt?

Sandoz hatte stark regulierte Produktionsprozesse von Pharmawirkstoffen. Optimierungen einzuführen, war mit sehr hohem administrativem Aufwand verbunden, und Inspektionen der US-Arzneimittelbehörde brachten vor allem administrativen Leerlauf. In der Verwaltung war das anders. Mein Team und ich hatten die Freiheiten, bessere analytische Methoden einzuführen. In all den Jahren war es mir jedoch ein Anliegen, zwischen Industrie und Verwaltung eine offene Kommunikation zu pflegen, die gute Lösungen hervorbringt, welche den Menschen ins Zentrum stellen. Die Menschen sind sich bewusst, dass eine giftige Umwelt krank macht. Dieses Bewusstsein ist stärker als früher. Es erzeugt den Druck, dass Politiker und die Verantwortlichen in den Firmen umweltgerecht handeln.

Interview: Benedikt Vogel

Über Jan Mazacek

Als Jan Mazacek im Juni 1998 die Leitung des Baselstädtischen Umweltlabors und der Rheinüberwachungsstation übernahm, waren diese Einrichtungen noch dem Gewässerschutzamt angegliedert. Wenig später ging dieses im neu gegründeten Amt für Umwelt und Energie (AUE) auf. Mazacek hatte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich Chemie studiert und dort 1992 seine Doktorarbeit zur Biosynthese von Penicillin geschrieben. Danach arbeitete er sechs Jahre beim Pharmaunternehmen Sandoz, das 1996 mit Ciba-Geigy zu Novartis fusionierte. 1995 wurde der gebürtige Tscheche für seine Verdienste bei der Entwicklung eines ökologischen und ökonomischen Produktionsverfahrens für das Nagelpilz-Medikament Terbinafin mit dem Sandmeyer-Preis ausgezeichnet. Jan Mazacek ist Vater von sechs Kindern und lebt seit 2000 in Eptingen.

Weitere Auskünfte

Amt für Umwelt und Energie (AUE)

Spiegelgasse 15
4051 Basel

Öffnungszeiten

Montag, Mittwoch, Freitag:
08.00 - 12.00 Uhr und 14.00 - 17.00 Uhr
Dienstag, Donnerstag:
08.00 - 12.30 Uhr und 14.00 - 17.00 Uhr