«Die Volksschulen sind ein Abbild der Gesellschaft»
NewsDie Volksschulleitung formiert sich neu. Die Sonderpädagogik und das schulische Qualitätsmanagement erfahren eine Stärkung. Und die Bereichsleitung wird neu auf zwei Paar Schultern verteilt. Was steckt dahinter? Ein Gespräch mit Urs Bucher und Doris Ilg, der neuen Co-Leitung.

Basler Schulblatt: Mit der Reorganisation der Volksschulen werden drei Stellen neu geschaffen. Sie haben jedoch kein zusätzliches Budget zur Verfügung: Wie geht das? Sparen Sie jetzt bei den Lehr- und Fachpersonen in den Klassenzimmern?
Doris Ilg (D.I.): Nein, keine Sorge! Die Arbeit an den Schulen wird von dieser Reorganisation finanziell nicht tangiert. Wir organisieren den Verwaltungsbereich der Volksschulen neu und widmen innerhalb der Verwaltung Mittel um. So fällt zum Beispiel die Stellvertretende Leitung Volksschulen weg. Die Stelle, die ich bisher innehatte, gibt es also ab sofort nicht mehr. Weitere Mittel konnten wir beispielsweise bei der Fachstelle Pädagogik freigeben. Denn da übernimmt die neue Fachperson Schulisches Qualitätsmanagement einige Dossiers.
Weshalb war diese Reorganisation notwendig?
Urs Bucher (U.B.): Mit der steigenden Anzahl Schülerinnen und Schüler und dem technologischen und sozialen Wandel in der Gesellschaft steigt auch die Fülle an Themen, die uns beschäftigen. Die Volksschulen sind immer ein Abbild der Gesellschaft. Unsere Welt wird komplexer, die Ansprüche steigen. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die versucht, sich ständig zu optimieren; das kann zu einer Überhitzung des Systems führen. Es braucht mehr Regeln, mehr Absprachen. Viele gesellschaftliche Themen werden an die Schulen herangetragen, die im Kern nichts mit dem Unterricht zu tun haben.
Was meinen Sie konkret damit?
U.B.: Aktuell beschäftigt uns zum Beispiel der Umgang mit Smartphones an den Schulen. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Aber statt über ein gesamtgesellschaftliches Social-Media-Verbot zu diskutieren, delegiert man das Thema an die Schulen. Auch die psychische und physische Gesundheit wird vermehrt zum Thema gemacht, etwa bei der Suchtbewältigung und Prävention. Ein weiteres Feld ist die Digitalisierung der Schule. Mit der Einführung der digitalen Geräte an den Schulen gab und gibt es viele nachgelagerte Fragen zu technischen Möglichkeiten, Datenschutz oder pädagogischen Einsatzmöglichkeiten zu klären.
D.I.: Früher waren die Schulen ausschliesslich für den Unterricht zuständig, heute auch für die unterrichtsergänzende Betreuung. Wir haben mit den Tagesstrukturen in den vergangenen 20 Jahren parallel zum Unterricht flächendeckend einen zweiten Betrieb hochgefahren. Auch das ist nicht zu unterschätzen. Und die nächste Aufgabe im Bereich Betreuung wartet bereits auf uns: der Ausbau der Ferienbetreuung an Schulen.
Sie haben sich für eine Co-Leitung des Bereichs entschieden, weshalb?
U.B.: Nach der Erarbeitung der Vision der Volksschulen im letzten Jahr stellte sich die Frage, wie wir strukturell aufgestellt sein müssen, damit wir die anvisierten Ziele erreichen können. Am neuen Organigramm haben wir in der Volksschulleitung mit einer externen Begleitung fast ein Jahr lang gearbeitet. Wir sind dabei in die Tiefe gegangen und es lagen auch andere Modelle auf dem Tisch. Am Schluss war es ein Abwägen zwischen den Modellen.
D.I.: Du warst sehr ergebnisoffen und bist vermutlich nicht mit der Idee in diesen Prozess hinein, dass du am Ende nicht mehr der alleinige Leiter der Volksschulen bist.
U.B.: Ziel war und ist es, dass der Laden funktioniert und dass wir gute Arbeit leisten können innerhalb der neuen Strukturen, das ist mein Antrieb.
Und das geht besser in einer Co-Leitung?
D.I.: Ja, das neue Modell ist effizienter. Wir haben kürzere Wege für Entscheidungsfindungen im Bereich der Regelschulen, für die ich neu zuständig bin. Bisher habe ich als Stellvertretende Leiterin ja viele Aufgaben schon wahrgenommen, musste aber immer bedenken, dass die abschliessende Entscheidungskompetenz beim Leiter Volksschulen liegt. Diese Schlaufe zur Absicherung wird künftig wegfallen. Wir wollen die Volksschulen als Gremium gemeinsam mit den Stufenleitungen, der Leitung Sonderpädagogik und der Leitung des Stabs führen. Wie Urs ja bereits erwähnt hat, ist das aktuelle Organigramm in einem gemeinsamen Prozess entstanden. Alle Beteiligten tragen die neue Struktur mit, darin sehe ich eine grosse Chance.
Die Sonderpädagogik wird gestärkt. Es gibt neu eine zentrale Leitung, die auch in der Volksschulleitung Einsitz hat und stimmberechtigt ist. Weshalb?
U.B.: Der sonderpädagogische Bereich ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Wir haben mehr Schülerinnen und Schüler denn je, die besonderen Förderbedarf haben und mit sonderpädagogischen Massnahmen beschult werden. Wir möchten, dass die Angebote gebündelt werden und aus einer Hand kommen. Ganz wichtig ist dabei die Verbindung zur Regelschule. Da wir ja eine integrative Volksschule sind, finden viele Fördermassnahmen innerhalb der Regelschule statt. Daher ist die neu geschaffene Stelle auch in der Volksschulleitung angesiedelt.
Neben der Co-Leitung-Stelle und der Leitung Sonderpädagogik soll es demnächst auch eine Fachperson Qualitätsmanagement geben. Haben die Schulen in Basel ein Problem mit der Qualitätssicherung?
U.B.: Nein, das kann man so nicht sagen. Aber in unserem Kanton fehlt tatsächlich eine institutionalisierte Schulaufsicht. Grundsätzlich hat in der Schweiz jeweils der Kanton die Aufsicht über die Gemeindeschulen. Als Stadtkanton befinden wir uns in einer Ausnahmesituation: Wir führen die Schulen strategisch und operativ und beaufsichtigen sie auch selber. Deshalb müssen wir dem schulischen Qualitätsmanagement besondere Aufmerksamkeit schenken: Die Stufenleitungen sollen bei der Auswertung und Interpretation der Daten aus den Schulen besser unterstützt werden, damit wir von den Daten zu den Taten kommen. Wir schauen, wo noch etwas fehlt. So können wir die Schulleitungen in der Schulentwicklung noch besser unterstützen.
Wo stehen Sie in einem Jahr?
D.I.: Wir lassen uns jetzt ein Jahr lang Zeit, um diese neue Struktur Schritt für Schritt mit Leben zu füllen und sporadisch zu überprüfen, ob wir die Weichen korrekt gestellt haben. Diese Zeit werden wir uns jetzt auch nehmen, damit wir in einem Jahr effektiv und effizient aufgestellt sind.
Interview von Charlotte Staehelin, Foto: Grischa Schwank
Das wird neu
Seit Beginn dieses Schuljahrs leiten Urs Bucher und Doris Ilg mit insgesamt 200 Stellenprozenten den Bereich Volksschulen als Co-Leitung. Neu etabliert werden zudem eine Fachstelle Qualitätsmanagement (60 bis 70 Prozent) und eine Leitungsstelle im Bereich der Sonderpädagogik. Diese wird ab dem 1. Januar 2026 von Noortje Vriends, der langjährigen Leiterin des Zentrum für Frühförderung, übernommen.
Zu Doris Ilg
Die neue Co-Leiterin ist seit 40 Jahren am Erziehungsdepartement tätig. Begonnen hat sie als Primarlehrerin an der Primarschule St. Johann, danach hatte sie unterschiedliche Stellen als Konrektorin und Rektorin inne. Als Stufenleiterin der Primarstufe (2011 bis 2019) und ab 2019 als Stellvertretende Leiterin Volksschulen legte sie den Boden für ihre neue Tätigkeit als Co-Leiterin Volksschulen gemeinsam mit dem bisherigen Leiter Urs Bucher. Er leitet den Bereich Volksschulen seit fünf Jahren.